ALBANIEN

25. März 2014

Tatsächlich. Gestern haben wir bei Konitsa (GR) die Grenze zu Albanien passiert. Ein Land, das noch so völlig anders funktioniert, als Griechenland. "Dank" langer und hermetischer Abschottung vom Rest Europa`s fühlt man sich auf einen Schlag um vierzig Jahre zurückversetzt. Mit allen Vor- und Nachteilen. Die Strassen katastrophal (für die ersten 60 Km brauchten wir gerne 4 Stunden), die Menschen fröhlich und Geselligkeitsfähig. Schon kurz nach Grenzübertritt zum ersten Mal ein Autostoppendes Mütterchen mitgenommen, im nächsten Dorf bei der Verabschiedung nicht ohne Kaffee und Geplauder davongekommen. Die mühsame Schlaglochausweichende Kurverei wird entschädigt durch eine wundervolle Landschaft, gespickt mit Anschauungsunterricht von anno dazumal.

der Spagat - von Vorgestern in die Zukunft

Erst mit der Öffnung des Landes um 1990 realisierte die albanische Bevölkerung überhaupt, wie arm und rückständig ihr Land im Vergleich zu Europa ist. Bis zu dem Zeitpunkt war das Land völlig abgeschottet vom Rest der Welt. Der kommunistische und misstrauische Diktator Ehnvar Hohxa regierte das Land mit strenger Hand. Privatbesitz von Land oder Auto gab es nicht. Das ausüben jeglicher Religion war verboten. Für alles  sorgte der Staat.   

Sehr treffend hat es Lena, - die sehr interessierte und engagierte Betreiberin des kleinen privaten Campingplatzes in Ksamil -, auf den Punkt gebracht. "40 Jahre Kommunismus, und von einem Tag auf den andern musst du als Kapitalist funktionieren".

Mit dieser  neugewonnen Freiheit, aber auch der Übernahme von Selbst- verantwortung, sind praktisch alle überfordert - wen wunderts! Für die moderne, hoffnungsvolle, junge Bevölkerung in den Städten bedeutet es zu allererst einmal:  Das kaufen von Dingen, die sie (eigentlich) nicht brauchen,  - um Menschen zu beeindrucken, die sie nicht kennen,  - mit Geld, das sie nicht haben. Noch nirgends, wo ich war, - ich schwörs -, habe ich so eine grosse Dichte von Nobelkarrossen (v.a. Mercedes S-Klasse, aber auch Porsche Cheyenne) gesehen, die - von jungen Albanern gefahren - das Strassenbild von Tirana prägen. Bis jetzt  hat mir niemand glaubhaft erklären können, wie es möglich ist, das 25 jährige massenhaft, notabene ohne akademische Ausbildung, in einem Land ohne industrielle Arbeitsplätze (Einkommen z.B. für Lehrer 400 Euro pro Monat) mit Fahrzeugen herumfahren, die in der Schweiz gut und gerne um die 100 000 Fr  kosten. Das zeigt doch eindrücklich, wie unglaublich gross der Geltungsdrang und das Nachholbedürfnis dieses Volkes sein muss, aber auch wie skrupellos Banken und Konzerne den neuentstandenen Markt bearbeiten. Auf der anderen Seite aber sieht man  auch Menschen, die versuchen mit einem eigenen Geschäft sich ein Standbein aufzubauen. Eine grosse Zahl von Selbstständig-erwerbenden Kleinstunternehmern hat sich darauf spezialisiert, die Autos der oben erwähnten Klientel zu waschen und zu polieren, analog den Schuhputzern in New York um 1920.

Die Landbevölkerung hingegen bearbeitet das Land noch mit einfachsten Hilfsmittel. Eselfuhrwerke, Handmäher und Holzsammler prägen das ländliche Albanien. Die Strassen auf dem Lande sind zum grössten Teil nicht asphaltiert, trockener Kiesstaub oder bei Nässe schmierige Dreckwege sind die Folge. Was dann immerhin bei den Autowäschern für willkommene Arbeit sorgt. Es ergeben sich immer wieder skurillste Bilder von Vergangenheit und Moderne zusammen. Albanien übt sich im Spagat. Alles gute und viel Glück für die Zukunft kann man diesem schönen Land nur wünschen. Sie können`s brauchen! 

Von Bauten, Pyramiden und Pilzen

Eine Spezialität in diesem Land sind die "Albanischen Pilze".  Man trifft sie überall an. Am Strassenrand, in den Dörfern, an der Küste oder im Wald. Aber Vorsicht, sie schiessen aus dem Boden. Die Rede ist natürlich von den etwa 750`000 Kleinstbunkern, die der Diktator erbauen liess. Aus diesen Einmann- verteidigungsanlagen heraus sollten mögliche Invasoren erfolgreich zurückgeschlagen werden. Nun zerfallen sie langsam, werden zum Teil zweckentfremdet, aber hinterlassen immer noch einen prägenden Eindruck auf  jeden Albanienbesucher. Ebenso beeindruckend, vor allem an der Mittelmeerküste, ist die ungebremste Bautätigkeit. Hochhäuser, Wohn - und Hotelkomplexe entstehen an allen möglichen und unmöglichen Orten. Alle bauen darauflos, in Erwartung  des kommenden Aufschwungs. Leider geht dann den meisten das Geld aus oder sie haben schlicht vergessen, die nötigen Baubewilligungen einzuholen oder nicht gewusst, das es so etwas überhaupt braucht. So sieht man überall halbfertige Baugerippe, an denen nicht gearbeitet wird. Sie stehen einfach so rum. Die Behörden wiederum, um ihrer Autorität Nachdruck zu verleihen, reissen willkürlich einige Ilegale Bauten ein. Aufräumen tut dann aber keiner. Zuerst dachten wir tatsächlich, das es kürzlich ein Erdbeben gegeben haben muss, bis uns dann der Mann von Lena über die tatsächlichen Gründe aufklärte. Abgesehen davon lieben die Albaner aussergewöhnliche, verspielte, farbig-bunte und skurille Bauwerke. Irgendwelche einengende, engstirnige oder ausgewogenproportionale Kriterien scheinen nicht vorhanden zu sein. Der neugewählte, umtriebige Bürgermeister von Tirana hat als einer seiner ersten Handlungen "befohlen", das alle Häuser der Stadt mit frischen bunten Farben zu bemalen seien. So wurde versucht, der tristen grauen Vergangenheit den Kampf anzusagen. Doch mittlerweile blättert die Farbe ab und niemand hat Geld zum erneuern.

Apropos Geld (fehlendes). Mitten in Tirana steht an prominenter Stelle ein unübersehbares, graues Betonding, eine Art Pyramide. Wir rätseln lange über den Zweck dieses eigentlich modern, aber abgewrackt wirkenden Monstrums. Meine Phantasie ist angeregt. Von Geheimdienstzentrale über Abhörzentrum bis hin zu Foltergefängnis, aber auch Theater, Kultur- oder Sporthalle kommt in Frage. Es lässt mir keine Ruhe, und bevor wir Tirana verlassen, muss ich rausfinden, was es mit diesem Gebäude auf sich hat. Also schleichen wir  nochmals um den Komplex herum, rütteln an verbarrikadierten Türen und linsen durch verklebte Scheiben. Einem Zugang zum Untergeschoss des Gebäudes folgend, landen wir an einer vergitterten Absperrung, mit einer Art Wachhäuschen dahinter. Wir werden bemerkt, und der "Torwächter", der offensichtlich auch dort haust, kommt heraus. Wir signalisieren Neugier, ich mehr, Regula weniger. Der nicht unsymphatische, aber mit einem abgewetzten Anzug und einer leichten Alkoholfahne ausgestattete Mann schliesst das Gitter auf, und bittet uns "herein". Aus den Tiefen der Katakomben venimmt man Stimmen und es huschen Gestalten umher. Wir zögern, es wird uns etwas "gschmuch". Obdachlosenunterkunft, Räuberhöhle, Banditenversteck? Doch die Neugier ist grösser als die Angst. Und so kommen wir zu einer Exlusivführung durch das Innere dieses Palastes.

Also es ist so. Der Pyramidenbau wurde ursprünglich als Museum und zur Verherrlichung eines Menschen, nämlich Envahr Hohxa, von dessen Tochter in Auftrag gegeben. Nach dem Ende des Kommunismus war das Bedürfnis nach diesem Museum nicht mehr so gross. Das Parlament beschloss, den Komplex in ein Kultur- und Theaterzentrum umzuwandeln, und sogleich begannen die äusserst umfangreichen und kostspieligen Umbau- und Sanierungsarbeiten. Einige Zeit später beschloss das Parlament, dieses Monument nun doch Abzureissen, (auch kostspielig) und gab den Auftrag mit Frist Ende 2012 an eine Österreichische Gesellschaft. Dies wiederum entsetzte einen grossen Teil der albanischen Kultur - und Künstlerszene. Sie "Übernahmen" die Pyramide, um a) den Abriss zu verhindern (bis jetzt erfolgreich), um b) das Gebäude, besser gesagt die Halbruine, vor Vandalismus und Zerfall zu bewahren (nicht erfolgreich) und um c) den Umbau in Eigenregie fertigzustellen (welch aussichtsloses Unterfangen). Wegen nicht vorhandener Potenz (Geld, Material, Geld und Geld) sind die Baufortschritte verzweifelt schleppend. Eine Decke wird montiert, während gleichzeitig drei herunterkrachen. Ein Riss wird abgedichtetet, gleichzeitig drückt das Wasser an zwei neuen Stellen herein. Von fünf montierten Scheinwerfern werden sechs gestohlen.

All dies wird uns bei der geführten Besichtigung (und anschliessender  Internetrecherché) klar, obwohl wir kein Wort albanisch verstehen. Aber wenn bekanntlich das Herz voll ist, läuft der Mund über. Mir scheint, sie sind einfach auch froh, wenn sie jemandem das Schicksal der Kulturpyramide klagen konnten. In der verwegenen Hoffnung, das wir irgend etwas zur Rettung derselben beisteuern können. Also, lieber Leser, hast du zufällig ein paar Millionen Euro (sie nehmen auch Franken) übrig und ein Herz für die albanische Kultur - und Kunstszene, dann zögere nicht und ruf an. Genaueres im Internet unter Albanien/Tirana/Pyramide oder so.

Albanien hat uns in vielerlei Hinsicht beeindruckt. Da sind als erstens die Menschen, die unglaublich freundlich, offen und interessiert an der Welt sind. Dann die schöne, wilde und einsame Berglandschaft mit ihrer genügsamen Bevölkerung. Die rasante, übereilige Aufholjagt Richtung moderne Welt, mit allen Fehlern und Übertreibungen, die wir schon hinter uns haben. Dann aber auch das bedrückende Gefühl, ein Land gesehen zu haben, das im globalen Wettstreit keine Chance hat. Hoffentlich irre ich mich!

Am 08. April verlassen wir dieses wundervolle Albanien und passieren bei Kakavia wieder die Grenze zu Griechenland.

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